img_0191.jpg

BBT, Raiffeisenreform und Selbstbestimmung in Neumarkt

Dieser Text gibt eine qualitative Übersicht zu den Themen und Überlegungen, die in der sechsten Open-Space-Veranstaltung im Rahmen des Südtirol-Konvents an der deutschsprachigen Mittelschule in Neumarkt erarbeitet worden sind. Er geht auf unterschiedliche Fragestellungen und Argumente ein, versucht kontroverse Positionen auszuleuchten, erhebt jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Als Grundlage dienen die von den Teilnehmenden verfassten Protokolle zu den einzelnen Workshops. Für deren genauen Wortlaut wird auf die vollinhaltliche Transkription (https://www.konvent.bz.it/sites/default/files/atoms/files/protokolle_neumarkt.pdf) verwiesen.

Es standen insgesamt 35 Themen zur Diskussion und entsprechend viele Protokolle wurden dem Sekretariat des Autonomiekonvents übermittelt. Die Vorschläge aus diesen Protokollen wurden zu den folgenden 13 alphabetisch gereihten thematischen Clustern zusammengefasst, die weitgehend jenen der fünf vorangehenden Open Space Veranstaltungen entsprechen.

 

  1. Ausbau der Autonomie

Es wird der Ausbau der Kompetenzen Südtirols in folgenden Bereichen verlangt: Steuer- und Finanzhoheit, Post, Sanität, Schule, Sport, Arbeitsrecht, Einwanderung, Vergabewesen, Landespolizei. Weitere Anliegen sind die Schaffung einer eigenen Rentenversicherungsagentur und einer eigenen Sektion des Verfassungsgerichtshofes, die authentische Auslegung der direkten Kompetenzen im Autonomiestatut als eventuelle Alternative zu den bestehenden Schutzklauseln, die Schaffung eigener Regulierungsbehörden zur Vermeidung der Missachtung der Zweisprachigkeit seitens der entsprechenden staatlichen Einrichtungen und die Übernahme der Funktion des Regierungskommissariats durch den Landeshauptmann. Die Kompetenzen der Region sollten an das Land übergehen. Im Rahmen einer eigenständigeren Kompetenzgestaltung könne für mehr Steuergerechtigkeit gesorgt, das Problem der Genossenschaftsbanken gelöst und die Gemeindeautonomie z.B. im Bereich Urbanistik gestärkt werden. Große Zukunftschancen werden von den Teilnehmenden auch der Perspektive der Vollautonomie als umfassender Form der Souveränitätsausübung bzw. als Zwischenschritt zur Selbstbestimmung zugeordnet, weshalb sie deren Verankerung im Autonomiestatut fordern.

 

  1. Bürger/-innenbeteiligung

Im Rahmen der Open-Space-Diskussion wird die Verankerung der repräsentativen, der direktdemokratischen und der partizipativen Demokratie verlangt. Insbesondere steht eine umfassende Regelung zur direkten Demokratie zur Debatte, u.a. was die Information betrifft und die Förderung der Umsetzbarkeit durch geeignete Quorum-Regelungen. Von der direkten Demokratie wird eine Steigerung der Verantwortungsübernahme der Bürgerinnen und Bürger erwartet.

 

  1. Einwanderung

Neben der Verankerung der primären Zuständigkeit zu Einwanderungsfragen im Autonomiestatut samt Schaffung eines eigenen Landesressorts stehen konkrete Vorschläge für eine eigenständige Einwanderungspolitik im Vordergrund: Empfohlen wird, die Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge auf die Gemeinden aufzuteilen, jedoch nicht gemeinsam in Kasernen unterzubringen, da dies nicht förderlich für die Integration sei. Es sollten Integrationsziele aufgezeigt und dann auch kontrolliert werden. Die Integration sollte verstärkt in den deutschen und ladinischen Schulen erfolgen. Bei Integrationsunwilligkeit sollten die Sozialleistungen ausgesetzt werden. Sprachkurse und die Unterstützung bei der Arbeitssuche wurden als notwendig erachtet. Integration bedeute auch, die eigene Kultur ausleben zu können. Bei Straftaten wird die Ausweisung in Betracht gezogen und diesbezüglich eine generelle Gleichbehandlung als angemessen erachtet. Für den Erwerb der Staatsbürgerschaft sollte laut einer Wortmeldung ein Bekenntnis der Einwanderer/-innen zu einer der drei Sprachgruppen die Voraussetzung bilden.

 

  1. Europaregion und mehr

Die Förderung der Verbindungen und der Zusammengehörigkeit im historischen Tirol wird als Grundanliegen genannt. Die feststellbare Entfremdung zwischen Südtirol und dem Trentino müsse rückgängig gemacht werden. Als zentrales Instrument hierfür wird der Unterricht der deutschen Sprache im Trentino betrachtet. Tirolübergreifende Projekte wie der Dürerweg seien richtungsweisend. Unterstützt werden sollten Initiativen wie eine gemeinsame Olympiade, Kontakte zwischen Unternehmen und auf Schul- und Vereinsebene, Patengemeinden. Gemeinsame Anliegen wie ein Flughafen, eine Universität und eine Landeshymne sollen gegenüber der Förderung des Bewusstseins als Südtiroler in den Vordergrund gestellt werden.

 

  1. Kultur

Es wird auf den im Pariser Vertrag verankerten Schutz der geschichtlichen Werte, Sitten und Gebräuche verwiesen. Europa habe es versäumt, verschiedene Kulturen zusammenzuführen und die Brückenfunktion auszugestalten. Als Kernaufgabe werden die Pflege der Identität und die Förderung der Heimatkultur sowie die Vermittlung unserer kulturellen Wurzeln an die Nachkommen hervorgehoben. Dies soll im Geschichts- und Musikunterricht erfolgen sowie durch die Pflege des deutschen Liedgutes und zwar bis hin zu den Sprachgrenzen. Trachtenträger/-innen sollten als Kulturträger/-innen eine Wertschätzung erfahren, zumal sie die Tracht mit Stolz tragen. Die finanzielle Kulturförderung müsse weiterhin sichergestellt werden. Es sollte eine Kultur entwickelt werden, in der jede/r in der eigenen Muttersprache kommuniziert, die kulturübergreifenden Kontakte gefördert werden, wie es etwa schon in den Sportvereinen geschieht. Zudem sollten die Kulturassessorate zusammengelegt werden.

 

  1. Nachhaltigkeit

Die Landesgesetze sollen sich auf die Werte der Gemeinwohlökonomie stützen und diese auch als Bewertungsinstrument zu verwenden. Die Gemeinwohlökonomie soll in der Präambel des Autonomiestatuts als Grundrecht genannt werden. Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit sollen bei der Vergabe von Aufträgen als Kriterien gelten. Regionalität sei zu fördern, ebenso die Rückverfolgbarkeit der Produkte. In der Finanzautonomie wird eine Chance für mehr Steuergerechtigkeit gesehen. Befürwortet wird zudem die Verankerung des bedingungslosen Grundeinkommens im Autonomiestatut als Garantie gegen Altersarmut. Es wird in Erwägung gezogen, eine Lokalwährung einzuführen, da es hierfür bereits Beispiele gibt hinsichtlich einer positiven Wirkung auf die lokale Wirtschaft. Südtirols Banken sollten anstatt der Banca d’Italia der EZB unterstellt werden könnten. Die Kontrolle von Bankengründungen und der Kreditwürdigkeit soll im Autonomiestatut als Zuständigkeit verankert werden. Vorgeschlagen werden die Gründung einer Landesbank und die Sicherstellung, dass bei territorial verankerten Genossenschaftsbanken deren Regelung durch ihre Mitglieder umfassend erfolgen kann. Was den Brennerbasistunnel angeht, werden Notwendigkeit und Trassenführung unter technischen Gesichtspunkten, aber auch hinsichtlich Rentabilität und Umweltbelastungen kontrovers diskutiert, ebenso die bisherigen Positionierungen der Gemeinden.

 

  1. Präambel

In die Präambel des Autonomiestatuts soll die Schutzmachtfunktion Österreichs für die österreichische Volksgruppe in Südtirol, die Charakterisierung als ethnische Autonomie, die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts, die christlichen Werte und die traditionelle Familie, der Anspruch auf Schutz von Zufluchtsuchenden genannt werden. Es sollen Österreich und Italien jeweils als Volksgruppenvaterland angeführt werden. Es wird empfohlen, einen Hinweis auf die drei in Südtirol lebenden Volksgruppen in der Präambel unterzubringen, aber auch andere Ethnien wertschätzend zu erwähnen.

 

  1. Proporz und Mehrsprachigkeit

Dem Proporz wird eine wichtige Schutz- und Friedensfunktion für alle Sprachgruppen zugesprochen. Ein Großteil der Diskussionsteilnehmer/-innen spricht sich für seine Beibehaltung aus und will auch an der Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung und der Ansässigkeitsklausel festhalten. Vorgeschlagen werden auch die Abschaffung des Proporzsystems und die Durchführung einer Studie alle zehn Jahre zur Überprüfung der Vor- und Nachteile und Ableitung entsprechender Maßnahmen. Kritisiert wird, dass der Proporz auf der Führungsebene und in manchen Einrichtungen wie der Eisenbahn nicht korrekt angewandt wird bzw. dass andere Bereiche wie das Militär und die Sicherheitskräfte davon ausgenommen sind. Der Zweisprachigkeitsnachweis garantiere nicht die reale Zweisprachigkeit.

 

  1. Schule

Als zentrale Forderung im Schulbereich wird die Beibehaltung des muttersprachlichen Prinzips angemeldet. Betont wird aber auch, dass es wichtig sei, alle drei Sprachen zu lernen. In Bezug auf die CLIL-Methode argumentieren die Gegner, dass dies dem Grundsatz laut Art. 19 des Autonomiestatuts zuwiderlaufe, während Befürworter auf positive Effekte für die Mehrsprachigkeit verweisen. Migrantenkinder sollten nach den Vorstellungen der Diskussionsteilnehmer/-innen mehr in deutsche Schulen gehen, wofür das Personal aufgestockt werden müsse. Andererseits wird die Einführung von Quoten für deutsche Kindergärten und Schulen verlangt. Eine zweisprachige Schule wird bei tatsächlicher Gleichberechtigung der Sprachen für vertretbar erklärt.

 

  1. Selbstbestimmung/Eigenständigkeit

Von jenen, die die Autonomie zwar für wichtig halten, aber nicht als ausreichend betrachten, wird die Eigenständigkeit als Zielsetzung ausgegeben. Erreicht werden soll sie über die Selbstbestimmung. Alle drei Sprachgruppen sollen dafür gewonnen werden. Ein unabhängiger Staat brauche keine Schutzmacht mehr. Schottland und Katalonien seien Orientierungspunkte für diesen Weg. Zur Sprache kommt in diesem Zusammenhang die Widersprüchlichkeit zwischen unabhängiger Eigenstaatlichkeit und dem Verständnis als österreichische Minderheit. Die Teilnehmenden thematisieren auch das Spannungsfeld zwischen innerer und äußerer Selbstbestimmung. Es wird bemängelt, dass die Bevölkerung nie um ihre Meinung gefragt worden sei. Im Autonomiestatut müsse das Selbstbestimmungsrecht verankert werden.

 

  1. Verhältnis Südtirol-Italien

Die Diskussionsteilnehmer/-innen setzen sich auch mit dem Binnenverhältnis zwischen Südtirol und dem italienischen Staat auseinander. Es wird bemängelt, dass diesbezüglich ein opportunistisches Verhältnis bestehe und für die Zukunft die Herausbildung eines gerechten und friedlichen Verhältnisses eingefordert. Als kennzeichnend wird erwähnt, dass die Deutschsprachigen nach Norden und die Italienischsprachigen nach Süden „schauen“. In Italien müsse mehr Verständnis für die Autonomie bewirkt werden, weil diese als Privileg empfunden wird. Für die Verstärkung der Lobbyarbeit für Südtirol wird die Schaffung eines Landeamts für Außenbeziehungen als zweckmäßig bezeichnet.

 

  1. Verhältnis Südtirol-Österreich

Vorrangiges Anliegen ist die Pflege der Beziehungen zu Österreich. Österreich habe viel für Südtirol geleistet. Eine verpflichtende Rücksprache der regierenden Parteien mit den österreichischen Kollegen wird als zielführend angesehen. Bedauert wird der fehlende politische Wille für die doppelte Staatsbürgerschaft, da diese für Minderheiten wichtig sei. Hätte Österreich in Südtirol Wähler/-innen, würde es sich stärker als Schutzmacht einbringen, wird vermutet. Der Wunsch nach Anerkennung als österreichische Minderheit solle bei der Regierung in Wien vorgebracht werden. Die Änderung des Autonomiestatuts soll in Absprache mit Österreich erfolgen.

 

  1. Toponomastik

Die Diskussionsteilnehmer/-innen sprechen sich für die Einführung der vor 1919 historisch gewachsenen Ortsnamen aus, womit die von Tolomei eingeführten Ortsnamen ihre Rechtsverbindlichkeit verlieren würden, aber im alltäglichen Umgang weiterhin verwendet werden könnten. Sudtirolo soll die italienische Bezeichnung für Südtirol sein. Befürwortet wird eine partei- und vereinsübergreifende Behandlung der Thematik, da zu diesem Thema viel Fehlinformation verbreitet sei.