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Die Themen von Bruneck: Von Autonomie bis Zusammenleben

35 Themen wurden von den 130 Teilnehmern in Bruneck eingebracht und diskutiert. Diese Zusammenfassung gibt davon eine Übersicht. Nicht alle dargelegten Argumente können hier in vollem Umfang wiedergegeben werden, jedoch sind kontroverse Positionen herausgearbeitet worden. Für den genauen Wortlaut wird auf die vollinhaltliche Transkription verwiesen. Hier geht's zum Dokument. 

Die Vorschläge aus diesen Protokollen wurden zu 12 thematischen Clustern (in alphabetischer Reihenfolge) zusammengefasst, die zum Teil jenen der ersten Open Space Veranstaltung entsprechen:

 

  1. Ausbau der Autonomie

Der Ausbau der autonomen Zuständigkeiten des Landes ist oft zentrales Thema. So soll Südtirol z.B. im Sinne der Vollautonomie mit wenigen Ausnahmen alle Kompetenzen vom Staat übernehmen (Finanz- und Steuerhoheit, Landespolizei, Justiz, Tarifsystem, Umweltschutz, Sport, Schule, Post, Eisenbahn, soziale Sicherungssysteme, Telekommunikation, Einwanderungspolitik, Konsumentenschutz). Zusätzlich sollen die Kompetenzen der Region zur Gänze an die beiden Provinzen übertragen werden. Das Subsidiaritätsprinzip müsse angewandt werden. Der Weg zur Vollautonomie beginne mit einer artikulierten Forderung. Luxemburg als weltoffener Kleinstaat wird als Vorbild für Eigenständigkeit genannt, das „Good Friday-Agreement“ in Nordirland als Beispiel für die rechtliche Grundlage. Zum Konzept der Vollautonomie gehöre auch das Recht, frei über die künftige staatliche Zugehörigkeit zu entscheiden. Es wird die Idee eingebracht, nach Herstellung der Unabhängigkeit einen einheitlichen Steuersatz einzuführen und diesen mittels Volksabstimmung festzulegen. Südtirol solle als entmilitarisierte Friedenszone mit einem Bankensystem nach Liechtensteiner und Schweizer Modell errichtet werden. Die Autonomie sei nicht überholt, sondern noch nicht vollständig durchgeführt.

 

  1. Außendarstellung

Hingewiesen wird sowohl auf die Marketing- als auch auf die politische Dimension der Ortsnamenregelung. Die SMG verwendet in der Tourismuswerbung nicht die historischen Ortsnamen: Alto Adige ist bekannter als Südtirol. Die topographischen Karten zu Südtirol seien unübersichtlich, digitalisierte Versionen (google maps/google earth/GPS-Systeme) nur in italienischer Sprache verfügbar. Als offizielle Bezeichnung sollte Südtirol-Sudtirolo in allen Werbemaßnahmen eingeführt werden. Südtirol sollte eine Außenvertretung in anderen Ländern haben. Als werbemäßig wirkungsvolle Instrumente in der Außendarstellung werden z.B. die Sportautonomie und das Südtiroler Internetsuffix betrachtet.

 

  1. Begnadigung Südtirolaktivisten

Um die Begnadigung der Südtirolaktivisten und deren Rückkehr nach Südtirol zu ermöglichen, wird die Einführung der Verjährung politisch motivierter Taten wie für andere Verbrechen vorgeschlagen. Angesprochen wird auch die eventuelle Beantragung einer Neuverhandlung durch den europäischen Gerichtshof sowie die Verankerung der Begnadigung im Autonomiestatut. Das Thema sei im Geschichtsunterricht zu behandeln.

 

  1. Beziehung zu Österreich

Ausgehend von einem Selbstverständnis als österreichische Minderheit wird gefordert, dass die Schutzmachtfunktion Österreichs im Autonomiestatut und in der österreichischen Verfassung verankert wird. Auch soll Österreich das Autonomiestatut mit unterzeichnen. Über eine Änderung des österreichischen Staatsbürgergesetzes soll die doppelte Staatsbürgerschaft eingeführt werden. Damit verbundene Rechte und Pflichten seien noch abzuklären. Dies wäre eine zusätzliche Absicherung der Autonomie und trage auch zur Stärkung der Verbindungen zwischen den Tiroler Landesteilen sowie zu deren Wiedervereinigung bei. Um die politische Einheit zu erreichen müsse die wirtschaftliche Zusammenarbeit ausgebaut werden. Auf kultureller Ebene werden die Beziehungen bereits von Schützen und Musikkapellen gepflegt. Die unterschiedlichen Rechtssysteme wirken als Bremse. Die Autonomie wird als Übergangslösung betrachtet.

 

  1. Einwanderungsproblematik

In der Diskussion wird betont, dass die Menschen Ängste wegen des massiven Zuzugs von Flüchtlingen verspüren. Die Einwanderer/-innen stehen in Konkurrenz zu niedrig qualifizierten Südtiroler/-innen. Andererseits wird die christliche Pflicht betont, diese Menschen aufzunehmen. Es sollten zu dieser Thematik nicht nur die negativen Seiten erwähnt werden. Beispielsweise werden die Flüchtlinge in Vintl und Bruneck gut integriert. In Landgemeinden sei dies leichter möglich als in der Stadt. Inklusionsaufgaben sollten Vorrang haben. Die Anpassung an unsere Kultur sei notwendig.

 

 

  1. Ladiner

Da der Schutz der ladinischen Sprachgruppe im Autonomiestatut bisher nicht in gleicher Form wie für die beiden anderen Sprachgruppen erwähnt wird, fordere man eine stärkere Verankerung der Rechte der Ladiner. Folgende Punkte werden als zentral bezeichnet: Beibehaltung des Proporz für die Ladiner und Zuerkennung von öffentlichen Stellen über die zahlenmäßige Konsistenz der Sprachgruppe hinaus, Eliminierung der Diskriminierungen, eigene Bezirksgemeinschaft, Aufwertung der Dreisprachigkeit.

 

  1. Mehrsprachigkeit und Proporz

Der Grundtenor ist, dass an Proporz und Zweisprachigkeitspflicht festgehalten werden soll. Der Proporz wird als Friedensinstrument bezeichnet. Gegenüber der italienischen Volksgruppe sollen die Vorteile dieser Regeln hervorgehoben werden. Durch die Zuwanderung wird das Gleichgewicht der Sprachgruppen verschoben, da sich viele Migranten/-innen der italienischen Sprachgruppe zugehörig erklären. Gefordert wird die Ausweitung des Proporzes auf privatisierte Staatsunternehmen, Gesellschaften mit öffentlicher Beteiligung, das Militär und private Gesellschaften, die öffentliche Dienste anbieten. Die Zweisprachigkeitspflicht soll z.B. auch für Dienstleistungen und Werkverträge im Gesundheitsdienst oder für Telefongesellschaften gelten. Zweisprachigkeit soll honoriert werden. Die Ansässigkeitsklausel soll aufrecht bleiben. Gefordert wird auch die Gleichstellung der drei Landessprachen bei der Etikettierung von Medikamenten und Inhaltsangaben zu Produkten im Sinne des Konsumentenschutzes.

 

  1.  Nachhaltigkeit

Ökologische Nachhaltigkeit und Biodiversität soll als Handlungsmaxime im Autonomiestatut verankert werden. Diese ist Teil der Verantwortung der Einzelnen und der öffentlichen Hand für die Nutzung der Ressourcen. Es dürfe nicht nur auf die finanziellen Aspekte der Autonomie geachtet werden. Auch soziale und alternative Wirtschaftskreisläufe werden als Zukunftsmodell genannt.

 

  1.  Ortsnamen

Es wird gefordert, dass der Landtag mit der Regelung der Thematik betraut wird. Nur historische Ortsnamen sollen gesetzliche Gültigkeit erhalten. Derzeit werden deutsche und ladinische Ortsnamen nur geduldet. Es wird auch vorgeschlagen, die historischen Ereignisse aufzuarbeiten und eine gemeinsame Ebene zu dieser Thematik zu finden.

 

  1. Schule

Der Schutz der Muttersprache und des muttersprachlichen Unterrichts werden als prioritär betrachtet. Art. 19 darf nicht aufgeweicht werden. Immersionsunterricht wird abgelehnt. CLIL darf nicht aufgezwungen werden. Die erfolgreiche CLIL-Anwendung in anderen Ländern zähle nicht, da dort keine Minderheitensituation vorliegt. Schwächere Schüler haben Probleme mit CLIL. Laut einem Erfahrungsbericht hat der Wirtschaftsunterricht in Italienisch gut funktioniert. 1.800 - 1.900 Stunden Italienisch-Unterricht bis zur Matura müssen genügen. Italienisch ist als Fremdsprache zu betrachten. Es soll Kommunikationsitalienisch statt Literatur im Unterricht vermittelt werden. Es brauche eine Differenzierung im Sprachunterricht zwischen Bozen und dem ländlichen Gebiet. Für Lehrer sollte die Pflicht zur Zweisprachigkeit gelten. Kritisch bewertet wird der ständige Lehrerwechsel im Italienischunterricht. Mehrsprachigkeit wird im Alltag in den (Pusterer) Gemeinden vielfach als nicht wichtig empfunden. Neben den einsprachigen Schulen solle man auch mehrsprachige Schulen errichten, damit die Eltern mehr Wahlmöglichkeit haben.

 

  1. Selbstbestimmung

In der Präambel sollen Sätze aus den Menschenrechtspakten und aus der UNO-Resolution 2625 vom 24.10.1970 zum Recht auf Selbstbestimmung eingefügt werden. In der Diskussion wird auch auf das Spannungsfeld zwischen der individuellen Freiheit als Grundprinzip der demokratischen Ordnung und der Ausübung der Selbstbestimmung als kollektives Recht verwiesen. 

 

  1. Zusammenleben

Inklusion statt Trennung wird als Richtschnur vorgeschlagen. Statt der Konzentration auf die einzelnen Sprachgruppen sollten gemeinsame Vorstellungen zur Zukunft des Landes entwickelt werden. Die Zugehörigkeit müsse spürbar gemacht werden. Hingewiesen wird auch auf die Polarität zwischen individueller Selbstbestimmung und Selbstbestimmung als Gruppenrecht. Es wird auch angeregt, die Partnerschaft mit Nachbargemeinden über Tirols Grenzen hinaus zu pflegen. Grenzen seien als sich öffnende Tore für die Begegnung zu verstehen. Jeder solle das Heimatrecht erwerben können. Dieses sei auch mit Pflichten und mit der Anpassung an die Gegebenheiten verbunden. Zum Heimatbewusstsein gehöre die Zweisprachigkeit. Angst vor Heimatverlust sei bei Deutschsprachigen feststellbar, während das ladinische Selbstbewusstsein gestiegen sei. Oft bestehe kein Verständnis für die andere Sprachgruppe. Es gebe bereits Parallelgesellschaften.