Roberto Toniatti, Professor für vergleichendes Verfassungsrecht an der Uni Trient, sieht eine Überarbeitung des Statuts auch nach dem negativen Ausgang des Verfassungsreferendums als notwendig an, um die seit der Verfassungsreform von 2001 geänderten Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. Und er ist zuversichtlich, dass das Parlament trotz der negativen Stimmung in der Bevölkerung gegenüber Sonderautonomien eine für Südtirol vorteilhafte neue Fassung des Statuts genehmigen würde. Ob das Einvernehmensprinzip, das in der Verfassungsreform vorgesehen gewesen wäre, das aber auch in das neue Statut Eingang finden kann, auch rechtlich hält, hänge von seinem Verfahren ab. Toniatti plädierte für eine Präambel zum Statut, die wichtige Grundsätze (internationale Verankerung, kulturelle Besonderheiten, aber auch Subsidiarität u.a.) enthalten könnte und die eine Rechtsquelle für de Auslegung des Statuts wäre. Für weitere Kompetenzen schlug er drei Wege vor: den bisherigen der Durchführungsbestimmungen, die Verankerung neuer Kompetenzen im Statut mit Verwes auf künftige Durchführungsbestimmungen sowie – bei konkurrierender Zuständigkeit zwischen Staat und Land – die Ersetzung der Staatsgesetze durch Durchführungsbestimmungen. Die künftige Rolle der Region, die Trägerin des Statuts bleibe, könnte Toniatti sich als Verbindungsglied zwischen den beiden Provinzen vorstellen, auch ohne Verwaltungs- oder Gesetzgebungsbefugnisse.
Alice Engl, wissenschaftliche Mitarbeiterin am EURAC-Institut für Minderheitenrecht, informierte über die rechtlichen Grundlagen der Europaregion, darunter über die Reformverordnung der EU zum EVTZ, die der Europaregion neue Möglichkeiten eröffnen würde – wie Aufgaben der Daseinsvorsorge oder die gemeinsame Verwaltung einer Infrastruktur – die aber auf staatlicher Ebene noch nicht übernommen wurde. Durch die europäische Integration gehe die Machtverteilung tendenziell zu Lasten der Regionen, andererseits lasse sich ein zentralstaatliches Monopol über die europäische Politik aufgrund wachsender regionaler Mobilisierung nicht aufrecht erhalten, und mit der EVTZ-Verordnung hätten die Regionen ein Instrument, das unmittelbar anwendbar sei. Möglichkeiten zur Weiterentwicklung der Europaregion sah Engl in der Vernetzung auch von Vereinen und Verbänden, in Kooperationen von Gemeinden, in Instrumenten der Bürgerbeteiligung, in ständigen Arbeitsgruppen oder Fachbeiräten und einem hauptamtlichen Präsidenten. Im Statut könnte sie Eingang finden etwa durch eine politische Willensbekundung zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit.
Mariachiara Alberton, Expertin für Umweltrecht und –politik am EURAC-Institut für Föderalismus- und Regionalismusforschung, ging auf die Chancen für die Umweltpolitik im Rahmen der Reform des Statuts ein. Südtirol habe mit dem Statut von 1972 eine Reihe von umweltrelevanten Kompetenzen bekommen – Raumordnung, Landschaftsschutz, Landwirtschaft usw. –, die aber im Laufe der Jahre durch die vorrangige Kompetenz des Staates in Sachen Umwelt ausgehöhlt wurden. Die Reform sei nun zu nutzen, Unklarheiten in der Kompetenzaufteilung zu beseitigen und dem Staat eine weniger restriktive Neuordnung abzuringen. Der Umweltschutz könnte auch eine Aufgabe für die Europaregion werden, er könnte bei der Zuständigkeit für das Genossenschaftswesen berücksichtigt werden, und auch eine direkte Mitgliedschaft des Landes bei internationalen Umweltorganisationen sei unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Umweltbelange seien bereichsübergreifend und müssten auf mehreren Ebenen angegangen werden, daher sollte die Zuständigkeit dafür weder ausschließlich beim Staat noch nur beim Land liegen. Das Land könne etwa über die Staat-Regionen-Konferenz die Umweltpolitik auf Staatsebene mitgestalten, für die Festlegung und Erweiterung der autonomen Kompetenzen im Umweltbereich seien die Sechser- und die Zwölferkommission das geeignete Forum. Für eine bessere Zusammenarbeit zwischen Umwelt und Wirtschaft könne man die Instrumente, die das Statut und die Durchführungsbestimmungen zur Verfügung stellten, durchaus noch besser nutzen.
Arbeitsplätze werden von Unternehmen geschaffen, nicht vom Autonomiestatut, antwortete Christian Pfeifer, Chefredakteur der Südtiroler Wirtschaftszeitung, auf die Frage, ob man über das Statut auch etwas gegen die Abwanderung aus Kleingemeinden tun könne. Die Autonomie, vor allem ihre finanzielle Ausstattung, sei hilfreich gewesen, die Abwanderung ziemlich gut zu vermeiden, aber ein weiterer Autonomieausbau würde in dieser Frage nichts ändern. Industrie siedle sich naturgemäß eher in Ballungszentren an, der Handel dort, wo Kunden seien. Es sei der Tourismus, der vor allem von der Peripherie lebe, daher verdiene er sich mehr Akzeptanz, ebenso die anderen Wirtschaftszweige, die Arbeitsplätze schaffen. Eine Steuerhoheit für Südtirol bezeichnete Pfeifer als illusorisch, umso mehr, als Europa eine Harmonisierung der Steuersysteme anstrebe. Südtirol könne nur seinen Spielraum bei Auf- und Abschlägen nutzen. Schwerer als Steuerunterschiede würden für unsere Unternehmen die Wettbewerbsnachteile durch mehr Bürokratie sowie höhere Energie- und Grundstückspreise wiegen. In einer Forderungsgesellschaft wie Südtirol würde eine Steuerhoheit auch nicht zwingend zur Steuersenkung genutzt. Pfeifer sah auch neue Regulierungskompetenzen, etwa bei Gewerbelizenzen, nicht als sinnvoll: Der europäische Trend gehe in Richtung Liberalisierung, es seien die Kunden, die auf die Qualität achten würden. Die direkte Übernahme von EU-Richtlinien vor dem Staat (wie beim Vergabegesetzt) gebe autonome Spielräume, aber nicht Narrenfreiheit. Das Zusammenspiel von Ökonomie und Ökologie sei in Südtirol nicht schlecht, könne durch die Politik noch weiter angetrieben werden, wachse nachhaltig aber von unten – das Statut als Impulsgeber sehe er hier nicht.
Paolo Valente, Journalist und Schriftsteller, ehemaliger Chefredakteur der katholischen Südtiroler Wochenzeitschrift „Il Segno“, beschäftigte sich in seinen Ausführungen mit den Herausforderungen der Autonomie durch die Migration. Es gebe die Rechte einer Gruppe, die etwa durch den Proporz geschützt werden, aber erster Adressat eines Rechts sei der Mensch, die Person. Auf die neue Gruppe, die in den letzten Jahren verstärkt nach Südtirol gekommen sei, ließen sich die alten Gruppenrechte schwer anwenden, hier müsse das Kriterium des tatsächlichen Bedarfs Vorrang haben, wobei die Ansässigkeitsklausel von fünf Jahren eine erhebliche Erschwernis darstelle. Damit die Sozialleistungen nicht zu einem Anziehungspunkt für Einwanderung würden, brauche es makroregionale Strategien. Für eine Integration in den Arbeitsmarkt seien Sprachkurse nicht genug, es brauche „Learning-by-doing“ und eine unbürokratischere Anerkennung von Berufsqualifikationen, etwa durch Tests. Eine bessere politische Vertretung der Nicht-EU-Bürger sah Valente als schwierig an. Das Wahlrecht sei den Bürgern vorbehalten, außerdem seien Nicht-EU-Bürger weniger an politischer Vertretung als an Arbeit und Wohnung interessiert. Man müsste sie erst auffordern, zu allen Bereichen des öffentlichen Lebens Stellung zu nehmen. Das kommunale Wahlrecht für alle Ansässigen wäre ein Qualitätssprung.
Das Forum der 100 besprach heute außerdem den weiteren Fortgang seiner Arbeiten. Die letzte Sitzung ist für 29. April geplant, am 12. Mai soll das Enddokument dem Konvent der 33 übergeben werden. Bei der Besprechung wurde auch der Wunsch nach einer besseren Information über die Arbeiten des Konvents geäußert; einige Mitglieder des Forums kritisierten, dass der Konvent der 33 bereits eine eindeutige Aussage zum Zweitsprachenunterricht getroffen habe, während die entsprechende Arbeitsgruppe des Forums noch darüber berate.