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Die Themen von Brixen auf einen Blick

Beim Open Space in Brixen haben die Teilnehmer insgesamt 32 Themen eingebracht und die Ergebnisse ihrer Diskussionen selbst in Protokollen festgehalten. Im Folgenden sind die thematischen Schwerpunkte daraus kurz zusammengefasst. Der Text gibt eine qualitative Übersicht, er geht auf unterschiedliche Fragestellungen und Argumente ein, versucht kontroverse Positionen auszuleuchten, erhebt aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

1.     Ausbau der Autonomie

Die Ansichten zur Autonomie sind vielfältig: Südtirol habe bereits eine traumhafte Autonomie und der Weg in Richtung Vollautonomie sei richtig. Andererseits wird bemängelt, dass die Autonomie eine reine Worthülse sei und als Holzweg bezeichnet. Eine weitere Interpretation ist die, dass die Autonomie eine Übergangslösung und die Vollautonomie die langfristige Lösung darstelle. Gefordert wird sowohl die Absicherung der bisherigen Zuständigkeiten als auch die Übertragung zusätzlicher Kompetenzen, etwa die Steuerhoheit als Grundlage eigenständiger Verwaltung, die Sozialpolitik, das öffentliche Vergabewesen, das Hochschulwesen, das Arbeitsrecht und die Arbeitssicherheit, die Verkehrsinfrastrukturen (samt Eisenbahninfrastruktur und -betrieb), die Sportautonomie. Die Finanzregelung soll durch die internationale Absicherung des dritten Autonomiestatuts Verfassungsrang erhalten. Das Andreas-Hofer-Lied soll als alle drei Sprachgruppen verbindende Landeshymne eingeführt werden. Innerhalb des Landes soll unter dem Motto „Peripherie als dezentrales Zentrum“ weiterhin auf Konzepte wie Solidarität und Subsidiarität gesetzt werden, wobei diese Grundsätze auch in der Präambel des Autonomiestatuts verankert werden sollen.

 

2.     Beziehung zu Österreich

Die doppelte Staatsbürgerschaft wird als Anliegen genannt, denn sie stelle einen Meilenstein auf dem Weg zur Vollautonomie dar. Die kulturellen Bindungen zwischen Nord- und Südtirol sollen gefestigt werden. Konkret wird vorgeschlagen, die Universität Innsbruck als Landesuniversität im Autonomiestatut zu verankern, einen Forschungskorridor zwischen den Universitäten von Innsbruck, Bozen und Trient und der EURAC zu schaffen und die Studiengänge aufeinander abzustimmen. Südtirol soll selbst über grenzüberschreitende Verkehrsinfrastrukturen entscheiden können und in seiner Brückenfunktion in den Bereichen Handelsgerichtsbarkeit und Kultur gestärkt werden.

 

3.     Bürger/-innenbeteiligung

Instrumente der direkten sowie deliberativen/partizipativen Demokratie sollen im Autonomiestatut verankert werden. Es werden aber auch Probleme wie Informationsmangel, Komplexität der Themenstellungen und Manipulationsrisiken angesprochen. Der Politik wird kein Allmachtsanspruch zugestanden.

 

4.     Einwanderung

Die Begrenzung der Zuwanderung wurde in einer Diskussionsrunde gefordert, da es in Südtirol schon mehrere Volksgruppen gibt, das Land klein und der Baugrund begrenzt ist. Für alle Einwanderungswilligen sei nicht Platz. Wenn Rom mit der Einwanderungspolitik scheitert, muss Südtirol die entsprechende Zuständigkeit übertragen werden. Die Zuwanderer/-innen verstärken die italienische Volksgruppe zum Nachteil der deutschen Volksgruppe. Die Autonomie gerät dadurch in Gefahr. Die Einwanderer und vor allem die Einwandererinnen müssten Deutsch und Geschichte lernen. In den Schulklassen sollten sie nicht die Mehrheit haben. Wer aus einem fremden Land kommt, ist Gast und muss die hiesige Kultur respektieren, ansonsten entstehen Parallelgesellschaften. Zur Begrenzung der Einwanderung sollten Regeln nach Schweizer Vorbild eingeführt werden, eine Kontingentierung sei durchsetzbar. Verwiesen wurde aber auch darauf, dass die Tiroler Identität nicht in Gefahr sei. Wir müssen die Menschenrechte einhalten und uns der globalen Verantwortung bewusst sein. Unsere Wirtschaftskonzepte seien es schließlich, die Flüchtlingsströme hervorrufen.

 

5.     Kultur

Südtirol soll als Brücke und Begegnungsraum dreier Kulturen aufgewertet werden. Die Politik soll nicht die Kultur bestimmen. Es wird das Ziel angepeilt, die Trennung der Kulturämter zu überwinden und (Frei-)Räume für Kunst und Kultur zu schaffen. Die Förderung solle dort ansetzen, wo Interkulturalität stattfindet. Es soll ein Zentrum geschaffen werden, wo Ladiner, Deutsche und Italiener regelmäßig zusammenfinden. Zivilgesellschaftliche Kulturinitiativen und betriebliche Kulturprojekte sollten steuerlich entlastet werden. Kontrovers diskutiert wird der Begriff Laizismus und dessen Verankerung im Autonomiestatut. Der Religionsunterricht soll mit einem vom Schulamt überwachten Ethikunterricht ersetzt werden. Demgegenüber wird darauf verwiesen, dass zahlreiche Werte aus der christlichen Religion herrühren und deren Unterricht befürwortet.

 

6.     Mehrsprachigkeit und Proporz

Das Bekenntnis zur Sprachgruppe wird als Bekenntnis zur Heimat und als Schutzmechanismus für alle Sprachgruppen gewertet. Die Probleme der Gemischtsprachigen mit der Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung seien von den Medien aufgeputscht, da davon laut ASTAT nur 0,5 Prozent der Bevölkerung betroffen sind. Die Jugendlichen sollen in der Schule über die Bedeutung der Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung informiert werden. Dem Proporz wird bescheinigt, dass er gut funktioniert und gerade in einer wirtschaftlich schwierigen Situation für das friedliche Zusammenleben wichtig ist. Wettbewerbe sollten in beiden Sprachen abgelegt werden. Es wird empfohlen, den Proporz auf die Sicherheitskräfte auszudehnen, um deren Akzeptanz zu erhöhen bzw. alternativ dazu eine Landespolizei mit Proporzanwendung einzuführen. Angemerkt wird, dass bereits eine flexible Anwendung des Proporzsystems stattfinde und sich diese Lösung bewährt habe.

 

7.     Nachhaltigkeit

Durch Unterstützung der Selbstversorgung und der regionalen Wirtschaftskreisläufe soll die Förderung der wirtschaftlichen Unabhängigkeit bewerkstelligt werden.

 

8.     Schule

Vom muttersprachlichen Unterricht im Sinne des Art. 19 des Autonomiestatuts dürfe nicht abgerückt werden, auch nicht durch die CLIL-Methode. Einzelne verweisen auf positive Erfahrungen mit CLIL. Festgestellt wird ein Nachlassen der Sprachkenntnisse bei den deutschen Schülern/-innen. Deshalb müssten diese gefestigt werden. Aufgrund des Stadt-Land-Gefälles seien unterschiedliche Modelle im Sprachunterricht überlegenswert. In der Schule solle die Vorbereitung auf die Zweisprachigkeitsprüfung gewährleistet werden. Italienischlernen solle nicht als Pflicht, sondern als Chance angesehen werden. Für einen erfolgreichen Italienischunterricht müsse die Didaktik geändert werden. Hilfreich sei auch eine größere Kontinuität bei den Lehrkräften. Als Problem wird erkannt, dass der deutsche Dialekt in den italienischen Schulen nicht vermittelt wird. Geäußert wird auch der Wunsch nach einer dreisprachigen Schule. Die Eltern möchten, dass sich die Kinder in zwei Sprachen unterhalten können. Hierfür wird die Bedeutung der Sprachimmersion außerhalb des Unterrichts unterstrichen. Für das Sprachenlernen sei die Motivation wichtiger als die Methode. Verlangt wird, dass die Kinder eine bestimmte Sprachfertigkeit nachweisen, damit sie zu einer Klasse zugelassen werden. Verwiesen wird auch auf die Bedeutung der MINT-Fächer und der politischen Bildung.

 

9.     Selbstbestimmung/Eigenständigkeit

Manche sehen die Zukunft Südtirols im Rahmen eines europäischen Bundesstaates mit den historischen Gebieten Tirols und ev. Vorarlberg. Dieser nur Europa unterstellte Staat solle über die Selbstbestimmung allmählich verwirklicht werden. Damit verbunden wird die Aussicht auf eine selbständige Außenpolitik und eigenständige Lösungen hinsichtlich Münzrecht, einheitlicher Bezeichnung in der Außendarstellung, Beflaggung, Briefmarke und Internetsuffix. Die Selbstbestimmung als Menschenrecht sei ein Druckmittel gegenüber Italien. Es solle eine basisdemokratische Abstimmung wie in Schottland angepeilt werden, da selbst eine Niederlage zu einer Kompetenzstärkung führe. Andererseits wird die Verankerung der Europaregion im Autonomiestatut gefordert und gemeinsame Initiativen in den Bereichen Wirtschaft und Bildung. Es gibt auch Befürworter/-innen der Auflösung der Region, um die Governance-Ebenen auf Bozen, Rom und Brüssel zu beschränken. Das Los von Trient müsse erst umgesetzt werden, entweder durch die Abschaffung der Region oder durch deren Beschränkung auf eine papierene Existenz. Die Region Trient solle dennoch im Rahmen der Euregio Bestand haben.

 

10.   Soziales

Sozialer Ausgleich und solidarisches Verhalten sind friedensstiftend; deshalb braucht es die primäre Zuständigkeit für die Gesundheits- und Sozialpolitik u. a. für die Regelung der Krankenhäuser, die Übernahme der Funktion der NISF/INPS durch Pensplan sowie die Gründung einer eigenen Landessozialversicherungsanstalt. Zusätzliche Sozialleistungen des Landes sollen mit einer überarbeiteten Zuzugsklausel eingeschränkt werden. Dem wird entgegengehalten, dass sich nicht jede reiche Region einfach von den anderen abschotten könne. Das Prinzip Solidarität müsse auch zwischen reichen und armen Regionen greifen. Der Rechtsanspruch auf Grundversorgung soll im Autonomiestatut verankert werden. Die Unterstützung von sozial Schwächeren trifft auf Zustimmung, es werden jedoch strengere Kontrollen für notwendig erachtet. Die Familien sollen sowohl durch finanzielle Zuwendungen für die Kinderbetreuung zuhause als auch durch Ausweitung der Betreuungs- und Beratungsdienste noch besser unterstützt werden, wobei Österreich als Vorbild genannt wird. Angemahnt werden auch Maßnahmen zur Gleichstellung von Männern und Frauen in der familiären Verantwortung, was die Betreuungs- und Pflegearbeit angeht, u.a. durch Angleichung der Regelungen in Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst. Um das Zusammenleben der Generationen zu fördern, wird die Umsetzung entsprechend adaptierter Wohnkonzepte empfohlen.

 

11.   Toponomastik

Beim Thema Toponomastik wird darauf verwiesen, dass derzeit nur die italienischen Ortsnamen Gesetzeskraft haben. Südtirol wird im Ausland als italienische Provinz dargestellt. Eingeräumt wird, dass der Ursprung mancher Ortsnamen fragwürdig sei, aber sich deren Verwendung inzwischen zum Teil eingebürgert habe. Andererseits verwenden Italiener/-innen auch zunehmend deutsche Bergnamen. Ein Vorschlag lautet, Änderungen nur im Konsens herbeizuführen und der Problematik die ethnische Sprengkraft zu nehmen. Bei der Suche nach angemessenen Lösungen können die UNO-Empfehlungen hilfreich sein. Erfundene Namen werden andererseits als Identitätsverlust bezeichnet und die Wiedereinführung historischer Ortsnamen als Wiedergutmachung begrüßt. Die Legalisierung der historischen Ortsnamen wird als Priorität angesehen. Die Kompetenz sollte an die Gemeinden übertragen werden. Touristiker/-innen müssten dazu bewegt werden, die historischen Ortsnamen zu verwenden.

 

12.   Zusammenleben

Es wird festgestellt, dass sich Italienischsprachige zu wenig am Konvent beteiligen. Problematisch sei, dass kein gemeinsames Grundverständnis für die Autonomie da sei, gibt ein/e Teilnehmer/-in zu bedenken. Ein friedliches Zusammenleben sei eine Frage des gegenseitigen Respekts; dieser sei solange nicht gegeben, solange es faschistische Denkmäler gebe. Einige sprechen sich für die Entfernung derselben aus, andere sind für deren Beibehaltung. Es besteht ein Spannungsfeld zwischen diesen beiden Wegen. Die Lösung liege entweder in deren Musealisierung, Entschärfung und Veralltäglichung oder in deren Entfernung. Die Kompetenz für deren Handhabung solle auf Südtirol übergehen.